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Die Hymne in der Rockmusik – eine (un)heilige Allianz?

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 26.02.2023, 22:15 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 14336x gelesen

Salzburg [ENA] Die Verbindung zwischen einer eher rohen Musik, die seit Generationen provoziert und unanständige Dinge ausspricht auf der einen Seite - und einem ehrfürchtigen Festgesang, der zur Ehre Gottes intoniert wird auf der anderen Seite - dieses Verhältnis muss auf dem ersten Blick ein sehr schwieriges sein. Andererseits: Gibt es nicht auch passionierte und enthusiastisch musizierte Songs in der Populären Musik?

Gewiss, eine provokante Frage. Und doch: Viele Bands respektive auch einzelne Popstars haben im Verlauf ihrer Karriere eine „Hymne“ produziert. Wahrscheinlich als Rockballade erdacht und komponiert, entwickelte sich der Song in der Folge zu einer, von der Plattenindustrie und von den Fans geadelten oder gehypten, „Hymne“. Andere Werke erblickten womöglich sogleich als huldigendes und glorifizierendes Lied das Licht der Welt. Der Titel „We Are the World“ beispielsweise – aufgeführt bei „Live Aid“, dem größten Rockkonzert der Geschichte – verkaufte sich bisher an die 20 Millionen Mal, gewann einen Grammy, vierfach Platin in den USA und spielte immerhin 63 Millionen US-Dollar an Spendengeldern (als Hilfe gegen die Hungersnot in Äthiopien) ein.

Der von Lionel Richie und Michael Jackson geschriebene und dem Bandkollektiv USA for Africa aufgenommene Song gilt wohl nicht ganz zu Unrecht als eine der größten „Rockhymnen“. Jedenfalls ist die Zeile „So let’s start giving“ als christlich konnotierte Aufforderung für das Teilen zu verstehen – angesichts der eingenommenen Millionen war es wohl das, was es sein sollte: eine gute Sache für einen guten Zweck. Dass sich zahlreiche der daran beteiligten Musiker hervorragend in Szene setzen konnten und das multinationale Bandprojekt die einzelnen Karrieren der Musiker befeuerte, soll und darf freilich nicht unerwähnt bleiben…

Zum Begriff Hymnus: Ein „hýmnos“ (altgriech.: „Tonfolge“) richtete sich in der Antike als Lobgesang direkt an die Götter des Olymps. Die frühchristliche Kirche übernahm den Ausdruck und verstand unter dem latinisierten Begriff „Hymnus“ nunmehr einen Lobgesang auf den wahren und einzigen Gott. Als vielstrophiges, einstimmiges und geistliches Lied fand der „Hymnus“ schließlich seinen Platz im Stundengebet; so ist ein „Hymnus“ ein fixer Bestandteil jeder Hore. Jahrhunderte später wurde die Hymne in der Lyrik – ähnlich der Ode – als getragenes und feierliches Gedicht verstanden: Begeisternde und enthusiastische Inhalte oder aber ernste und besinnliche Inhalte fanden ihr dankbares Publikum.

Mit der Gründung von Nationalstaaten begann auch die Geschichte der National- oder Staatshymnen. Wurden in Monarchien die jeweiligen Könige und Königinnen besungen und gepriesen, ehrte man in jungen Republiken oft die mutigen Staatsgründer und tapferen „Erbauer“ der Nation. Nicht selten triefen die Texte von einer „Blut-und-Boden-Ideologie“ – einem zentralen Schlagwort der nationalsozialistischen Gesinnung –, wobei auch in anderen Ländern eine „völkische“ und chauvinistische Haltung zu entdecken ist: Die Größe, Schönheit und Erhabenheit des eigenen Landes, die unvergleichlichen Qualitäten von Land & Leuten stehen im Mittelpunkt vieler nationaler „Lobgesänge“.

Roll over Jesus!? Was unterscheidet nun eine Rockhymne von einer Rockballade? Ist es der spirituelle oder gar gläubige Charakter des Textes? Das orchestrale, vielleicht schon pompöse Arrangement? Oder der eingängige Refrain, der von einem ergriffen singenden Chor unterstützt wird? Die Rezeptionsgeschichte eines Songs, die mitentscheidet, wann, wo und von wem die Melodie intoniert wird, darf in diesem Zusammenhang freilich nicht unterschätzt werden.

Bevor es die moderne populäre Musik überhaupt gab, verfasste Charles Albert Tindley, ein Methodistenpfarrer, 1901 das Lied „We Will Overcome Some Day“. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Gospelsong zum Streiklied der Gewerkschafter(innen). Berühmt wurde die Interpretation von Joan Baez, die das Lied beim Marsch auf Washington im August 1963 vor über 300.000 Menschen sang. Es folgten das Woodstock-Festival und „Einsätze“ in Südafrika (gegen die Apartheid) und in Bangladesch (für die Unabhängigkeit von Pakistan). Das Lied lebt von einer schlichten, eingängigen Melodie und der Erwartung, dass sich die Hoffnungen auf eine bessere Welt eines Tages wirklich erfüllen.

Einer der bekanntesten Songs der britischen Rockband Barclay James Harvest (BJH) trägt den schlichten Titel „Hymn“. Das mit lediglich zwei Akkorden ausgestattete Lied hat einen religiös-spirituellen Inhalt, obwohl es ursprünglich auf die Gefahren des Drogenkonsums aufmerksam machen sollte und Jimi Hendrix und Janis Joplin gewidmet ist. Dadurch, dass dem Lied musikalisch-gestalterische Kontraste fehlen, wirkt das eintönige Abspulen der immer gleich klingenden Strophen doch etwas langweilig.

Das nahezu gleich simpel angelegte „Give Peace a Chance“ von John Lennon eignet sich als Hymne auch nur bedingt: Während John Lennon die Textzeilen in einem näselnden Sprech-gesang vorträgt, antwortet der Chor mit einem spontanen „All we are saying is give peace a chance“. Für eine „stimmige“ Interpretation des Liedes bräuchte man neben dem unentbehrlichen Chor einen ziemlich charismatischen Vorsänger – die einzigartige und Aufsehen erregende Atmosphäre der berühmten „Bed-In“-Aktion von 1969 kann man ohnehin nicht wiederholen…

Schlachtgesänge von Fußballfans stellen, was die Singbarkeit eines Liedes, die Prägnanz eines Refrains und die „Kultfähigkeit“ einer Band/eines Musikers angehen, einen geeigneten Gradmesser bezüglich der Eignung zu einem „Festgesang“ dar. In diesem Sinne sind Songs wie „You’ll Never Walk Alone“ und „We Are the Champions“ wahre „Klassiker“ eines hymnischen Chorgesangs. Gerade wenn die Fans des FC Liverpool unmittelbar vor dem Anpfiff eines Fußballspiels das Lied von Gerry Marsden anstimmen und scheinbar das ganze Stadion „vibriert“, muss man nicht unbedingt ein Fußballfan sein, um von der Stimmung fasziniert oder zumindest beeindruckt zu sein.

Bei dem Queen-Song ist es vermutlich der gar nicht leicht zu singende Refrain, der nach einer sich langsam steigernden Strophe die Dämme der Zurückhaltung brechen lässt. Selbstverständlich wird der Song vor allem dann gespielt, wenn die Heimmannschaft ein wichtiges oder entscheidendes Spiel gewonnen hat. Eine spirituelle oder transzendente Atmosphäre kommt bei der Siegesfeier aber in den seltensten Fällen auf.

Dass seit vielen Jahren (1992) die UEFA-Champions-League-Hymne – „komponiert“ von Tony Britten und basierend auf Georg Friedrich Händels Coronation Anthem „Zadok the Priest“ jedes fußballerische Highlight „einläutet“ und dadurch schon für alle europäischen Fans dieser Sportart einen andächtigen Charakter („Introitus“) aufweist, darf nicht als blasphemisch bezeichnet werden – Händel komponierte sein Anthem immerhin als Einzugsmusik der englischen Könige in Westminster Abbey.

Bob Dylan stellte 1962 in „Blowing in the Wind“ viele Fragen, Antworten hingegen wurden nicht gegeben; sie „wehten und wehen immer noch im Wind“. John Lennon „träumte“ 1971 in „Imagine“ von einer besseren Welt ohne Religion (!), Nationalismus und Besitz. Ohne Klavier und von Massen „gebrüllt“ verkommt das anmutige und eher zarte Lied allerdings zusehends. Ein auch schon in die Jahre gekommener Hit der deutschen Rockgruppe The Scorpions, nämlich „Wind of Change“, erlebt dieser Tage eine Renaissance – allerdings mit einem neuen Text.

Waren es 1990 die dramatische Wende in Osteuropa und stellvertretend für die neue Politik (Glasnost und Perestroika) der Moskauer Gorki-Park, den der Autor und Sänger, Klaus Meine, verklärend besungen hat, wurde die Strophe nun geändert: „Now listen to my heart, it says Ukraine, waiting for the wind to change, dark and lonely nights, our hopes and dreams will not die, waiting for the wind to change.“

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