Das Dirndl zwischen Mythos, Tradition und Zeitgeschmack
Salzburg [ENA] Beim Maibaum-Aufstellen, bei volkstümlichen Jahrmärkten und traditionellen Festtagen sind in Bayern und Österreich auffallend viele Menschen, insbesondere städtische, jugendliche Besucher, in Trachten zu sehen: Mädchen und junge Frauen tragen fast ausnahmslos phantasievoll gestaltete Dirndl, wobei hinsichtlich der Länge, Farbe, des Schnitts und der Accessoires alles Mögliche kombiniert wird.
Zwischen Tracht und Mode: Interessant an dem Hype ist, dass sich Jugendliche eigentlich durch spezifische Verhaltensweisen von der Erwachsenenwelt abgrenzen. Neben der Musik, charakteristischen Sprachfloskeln und Freizeitaktivitäten spielt die Mode eine entscheidende Rolle. So ist es erstaunlich, dass bei Brauchtums-Veranstaltungen elterliche oder sogar großelterliche „Kleider-Vorschriften“ als soziale Praxis ungefragt übernommen werden.
Man fühlt sich, mit einem Augenzwinkern, „ländlich, rustikal“ und gibt sich betont zünftig und bäuerlich. Nach dem Fest wandert die Lederhose oder das Dirndl freilich schnell wieder in den Kleiderschrank… Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass das Dirndl als Kleidungsstück gar keine ewig lange Tradition aufweist und schon gar nicht ein bäuerliches Erbe darstellt.
Der Blick zurück: Der Name „Dirndl“ dürfte als Verkleinerungsform von „Dirn(e)“ für „Magd, junges Mädchen“ von ahd. „thiorna“ bzw. mhd. „dierne, dirne“ abstammen. Die Bedeutung als Prostituierte im Sinne eines „käuflichen Mädchens aus niederen sozialen Verhältnissen“ kommt erst in der Mitte des 15. Jahrhunderts auf. Während im landläufigen Sinn mit „Dirndl“ im 18. Jahrhundert noch die letzte und jüngste Dienstmagd auf einem Bauernhof“ bezeichnet wird, ist die Umdeutung des Begriffs auf das Trachtenkleid erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachweisbar.
Das typische Arbeitsgewand von Mägden sah über dem Hemd ein weit geschnittenes „Leiblgwand“ aus Leinen vor. Über diesem schweren und langen Kleid wurde eine Schürze, gefertigt aus alter Bettwäsche, getragen. Schmuck- oder reizvolle Details (schmale Taille, geschnürtes Mieder, Dekolleté oder Ausschnitt, Samt und Seide als Stoffe) suchte man vergeblich – das Gewand war für die Arbeit im Stall und auf dem Feld gedacht.
Wirkliche Trachten waren ebenfalls aus schweren Stoffen hergestellt und geschneidert. Da diese für Kirchenbesuche und für hohe Festtage geeignet sein mussten, durften sie gleichsam nicht allzu „offenherzig“ geschnitten sein. Im 19. Jahrhundert dürften vor allem ältere Menschen diese Kleidung verwendet haben. Dass diese alten Trachten in einer Region bzw. in einem Tal dieselben Muster, die gleichen Schnitte und Farbkombinationen aufwiesen, ist schlicht erfunden – diese Idee geht klar und deutlich auf die NS-Zeit zurück.
Der für seine Porträts bekannte Maler Friedrich August von Kaulbach (1850-1920) fertigte 1880 das Bild der „Schützenliesel“ an, ein für die damalige Zeit frivoles Wirtshausschild mit einer schneidigen Kellnerin in einem dirndlartigen Kleid mit Dekolleté und taillenbetontem, geschnürtem Mieder. Dieses Schild sorgte in München ob seiner Sinnlichkeit für Gesprächsstoff, die Nachfrage nach dem abgebildeten Gewand wurde offenkundig immer größer. Anscheinend riss sich die urbane Damenwelt sogar um ein derartiges „Dirndl“.
Das Gewand war neu, ein wenig frech und symbolisierte das schlichte natürliche, bodenständige und vielleicht auch etwas derbe Landleben. Das Biermadl - als Vorlage diente die Hilfskellnerin Coletta Möritz - hält viele schäumende Bierkrüge in ihren Händen und lächelt unwiderstehlich die männlichen Besucher an. Vielleicht wurde das anregende und mitreißende Bild auch als Kontrast zum einförmigen Stadtleben bzw. zur gespreizten und manierierten Mode des königlichen Hofes empfunden.
Geradezu grotesk erscheint heute die Tatsache, dass zwei jüdische Brüder, Julius und Moritz Wallach um 1900 in München ein „Fachgeschäft für Landestrachten“ gründeten. Nachdem sie 10 Jahre später anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Oktoberfestes den Landestrachtenzug „kostümierten“, wurden die Gebrüder Wallach zum „königlich-bayerischen Hoflieferanten“ ernannt. Das Dirndl hatte sich nun endgültig in der bürgerlichen Welt und in der urbanen Oberschicht etabliert. In der Sommerfrische fuhr man aufs Land und zeigte sich in einer luftig angenehmen, angeblich ländlichen Tracht…
Im Jahre 1930 schneiderten die Gebrüder Wallach die Bühnenkostüme zur Operette „Das weiße Rößl“ (Ralph Benatzky). Der große Erfolg der Operette beflügelte noch einmal die Dirndlmode. Die Rössl-Wirtin wurde mehr oder weniger zur Ikone des Fremdenverkehrs im Salzkammergut. Als die singende Trapp-Familie ebenfalls in Tracht auftrat, eroberte das Dirndl sowohl die Salzburger Festspiele als auch die USA, wohin die Salzburger Familie bekanntlich 1938 auswanderte.
Die nationalsozialistische Ideologie verpasste dem Dirndl ein neues Ansehen: Als Zeichen einer deutschen (germanischen) Stammeskultur wurde die Kleidung von angeblich „artfremden Einflüssen“ und „Überwucherungen“ befreit. Man erfand willkürliche „Trachtenlandschaften“ und versuchte sich in einer eigenmächtigen Deutung der verschiedenen Positionen der Schürzenschleife, wobei diese autoritären „Überlieferungen“ auch nach dem Zweiten Weltkrieg unkritisch weitergepflegt wurden. Der geschlossene Kragen verschwand, die kurzärmelige Bluse sowie die Stutzen mussten weiß sein.
Das taillierte Mieder hatte eng geschnürt und geknöpft zu sein, die Rocklänge wurde auf 7/8 verkürzt – eine gewisse Erotisierung und Entkatholisierung war nicht zu übersehen. Gertrud Pesendorfer (1895-1982) wurde Leiterin des Tiroler Volkskunstmuseums sowie „Reichsbeauftragte für Trachtenarbeit“, wobei sie über keine spezifische Ausbildung verfügte. Möglicherweise wurde sie als Gattin eines glühenden Nationalsozialisten für kompetent genug gehalten, um über „arisch reine Bauerntrachten“ und das „Wurzelechte“ zu referieren…
In der Kleinen Volkszeitung war seinerzeit zu lesen: „Es ist die Hoffnung aller, dass das Judendirndl- und Judenbuamverbot auf alle österreichischen Gaue ausgedehnt wird. Höchste Zeit ist’s! Soll unser Alpenland von geschniegelten Pseudodirndln überflutet werden? Ist man verpflichtet, dickbäuchige Silberfingers und Goldsteins, alpin verkleidet, lustwandeln zu sehen?“ Entsprechend des „NS-Ahnenerbes“ sollten germanische Symbole wie Lebensbaum und -rad, einheimische Vogelpaare, der Dreispross „arisch reine Bauerntrachten“ schmücken und so die "innere Front stärken".
Bemerkenswert und niederschmetternd ist die Tatsache, dass die „Beiträge“ von Gertrud Pesendorfer bis zu ihrem Tod (1982) kaum eine kritische Auseinandersetzung bzw. Aufarbeitung erfahren haben. Erst in den letzten 30 Jahren haben sich Experten gefunden, die das diesbezügliche NS-Erbe fachkundig und differenziert untersucht und wissenschaftlich korrekt interpretiert haben.
Und heute? In der heutigen Gesellschaft signalisiert das Dirndl (oder auch die männlich-rustikale Lederhose) Traditionsbewusstsein, Volkstümelei und auch ein Offensein für mehrere Moden, Kulte und Milieus. Die jüngere Generation gibt sich kosmopolitisch, cool und kombiniert mehrere Stile gleichzeitig – vielleicht auch, um sich nicht von einer bestimmten Szene vereinnahmen zu lassen. Der Gender-Aspekt der Tracht, also die eindeutige Zuordnung von männlich und weiblich (!), widerspricht auf den ersten Blick dem Zeitgeist:
Ein „Dazwischensein“ („divers“) bzw. eine Verneinung des Eindeutigen scheint es beim Dirndl (und der Lederhose) noch nicht zu geben. Was es überhaupt nicht braucht, sind selbsternannte Modepolizisten – sie seien daran erinnert, dass es die Nazis waren, die von „geschniegelten Pseudodirndln“ und jüdischer, „alpiner Verkleidung“ gesprochen haben!




















































