Buch: Das Ende des Individuums von Gaspard Koenig
Frankfurt am Main [ENA] Das Buch von Gaspard Koenig hat den Untertitel: Reise eines Philosophen in die Welt der künstlichen Intelligenz. Er traf sich mit 125 Experten aus der ganzen Welt und aus verschiedenen Disziplinen: Forscher*innen, Künstler*innen, Unternehmer*innen, Intellektuellen und Regierungsvertreter*innen.
Erinnern wir uns an die Technikphobie in der Vergangenheit. Es erscheint heute lächerlich, apokalyptische Propheten wie Paul Valery zu lesen. Er prangerte die schleichende Vergiftung durch den technologischen Fortschritt an. Das Verschwinden der Freizeit, die Diktatur der Emotionen, die Tendenz, in Büchern zu blättern, anstatt sie zu lesen... Seit der Aufklärung bildet die Idee des freien Willens die Grundlage unserer Gesellschaft und unserer Rechtsprechung. Der freie Wille ermöglicht es dem Einzelnen, zwischen Gut und Böse zu wählen. Ist diese Freiheit durch künstliche Intelligenz bedroht? Wenn eine Maschine den Menschen ersetzen kann, kann der Mensch durch die Maschine ersetzt werden.
Der mechanische Türke war die erste Maschine, die wie ein Mensch handelte, und wurde daher als die erste künstliche Intelligenz bezeichnet. Er wurde im Jahr 1769 von einem Ingenieur erfunden und ermöglichte es, Schach zu spielen und setzte die größten Spieler matt. Eine Illusion - doch die Erwachsenen waren sehr naiv und entschlüsselten den Schwindel nicht. Im Inneren der Maschine saß ein Mensch, der das System bediente. Das Expertensystem „Watson“ von IBM kann Fragen in einem bestimmten Bereich in einer Weise beantworten, wie es menschliche Experten davor getan haben. Eine Frage an ein Expertensystem wäre zum Beispiel, wie schwer ein Hubschrauber bei der Landung auf der Ölplattform sein darf.
Auf der anderen Seite gelang es „Watson“ im Jahr 1977 den Weltmeister im Schach Garry Kasparov zu schlagen. Aber heute wird behauptet, dass es keine Künstliche Intelligenz im System gab. Stattdessen waren Millionen von Kombinationen verfügbar, die auf vergangenen Spielen basierten und viele Rechenschritte nötig, um das Spielergebnis zu erreichen. Trotz der sophistischen Algorithmen ist es kein System, das selbstständig lernt. Das Konzept von Sokrates lässt sich nicht auf eine Definition reduzieren, man braucht die Sprache, um das Konzept zu erklären. Ähnlich erklärte Wittgenstein „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“.
Man muss die Begriffe unter Beachtung ihrer natürlichen Gliederung zerlegen können. Platon schuf die Idee, die unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit steuern soll. Wir erkennen die Katze, weil die Idee (Platon) der Katze existiert. Ein Künstliche-Intelligenz-System benötigt Millionen von Katzenbeispielen, um eine Katze zu erkennen. Menschen und sogar kleine Kinder können eine Katze identifizieren, ohne vorher hundert Katzen gesehen zu haben. Das menschliche Gehirn scheint ein Konzept von Katzen zu haben, während das Künstliche Intelligenz-System - die Maschine - kein Konzept hat und anhand von Beispielen lernen muss.
Die Künstliche Intelligenz denkt nicht. Sie kann nicht empfinden. KI liebt nicht. Sich auf eine emotionale Beziehung mit einem Roboter einzulassen, ist ein schrecklicher Rückschlag für unsere Zivilisation. Bereits in den 1990er Jahren wurde Eliza eingeführt und viele Menschen waren von einer einfachen Computermaschine beeindruckt und gingen eine emotionale Beziehung ein. Auch Alexa ist ein Roboter, der von Algorithmen gesteuert wird und nur ein Gebrauchsgegenstand ist. Eliza und Alexa sind weder Freunde noch Feinde, weder Engel noch Dämonen. Sie sind reine Instrumente, sie sind ohne Seele. Roboter, die sich als Menschen ausgeben, müssen entlarvt werden, und Menschen, die sich wie Roboter verhalten, müssen gemaßregelt werden.
Sucht und Nudge (subtil Anstoß geben, dass jemand etwas tut) spielen mit unseren primitivsten Instinkten. In diesem neuen digitalen Universum ist die menschliche Vernunft nicht mehr der letzte Richter über die Wahrheit. Eine KI-System kann Probleme lösen, ohne ein explizites physikalisches Gesetz zu formulieren. Die Daten stellen die Gleichungen auf. Wie Foucault vorhergesagt hat, „verliert der digitale Mensch seine intellektuelle und moralische Autonomie“. Die menschliche Kognition verliert ihren persönlichen Charakter. Individuen werden in Daten verwandelt. Der Mensch ist nicht mehr ein bewusster Produzent von Wissen, sondern ein passiver Empfänger von Informationen.
Wer ist verantwortlich für eine falsche Verschreibung in der Medizin oder für einen Unfall im Straßenverkehr, wenn man sich den Systementscheidungen der KI anvertraut? Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Schuldige. KI in China: KI ist überall ohne Regulierung eingeführt. Die Lehre von Konfuzius wird verwendet, um Innovationen als Ursache für das Erreichen von wirtschaftlicher Macht zu rechtfertigen. In der konfuzianistischen Gesellschaft hat jeder seinen Platz. Die Gesellschaft ist eine große Familie. Es gibt klare Hierarchien, Rechte und Pflichten. Die Regierung hat die höchste Autorität.
KI in Europa: Das Europäische Parlament hat die Datenschutz-Grundverordnung in Kraft gesetzt, um die persönlichen Daten der Bürger zu schützen. Die Daten werden als Eigentum des Bürgers betrachtet. Dies ist ein Teil der Grundrechte. Das Gesetz schützt den Menschen, verringert aber die Chancen Europas in Bezug auf KI und schwächt Europa im globalen Wirtschaftswettbewerb. KI in den Vereinigten Staaten: Der Geist des Kapitalismus entstand aus dem Protestantismus (Max Weber). Die Anhäufung von Kapital ist eine Pflicht. Es gibt ein Gleichgewicht zwischen dem Streben nach Profit und der Kultur der Intimität. KI zwingt dazu, den Geist des Kapitalismus von der protestantischen Ethik zu trennen. Das ist das Problem in den USA.
Viele Unternehmen befinden sich in der Krise der protestantischen Ethik. Das Dilemma zwischen Wohlstand und Freiheit zeigt sich in süchtig machender Technologie, Nudges (subtile Anstöße, etwas zu tun) und der Bereitstellung von privaten Daten für die Industrie. „...für Facebook wie für die Stadt San Francisco ist die Tugend zum Feind der Leistung geworden“. Eine weitere Diskussion wird in dem Buch ausgelöst. Der freie Wille versus Willensfreiheit. Eine Frage, die in der Philosophie seit Jahrhunderten behandelt wird. Die Vorstellung des freien Willens beruht auf der Unvorhersehbarkeit menschlicher Handlungen. Freiheit ist, Entscheidungen aus Vernunftgründen selbst zu treffen.
Der Mensch hat die Fähigkeit, sich von der Verkettung von Ursache und Wirkung zu abstrahieren und selbst zwischen den Möglichkeiten zu wählen. Im Gegensatz dazu behaupten Determinismus oder Fatalismus, dass der Wille in jeder seiner Handlungen von „Kräften“ bestimmt würde, die ihn dazu zwingen. Die philosophische Position, dass der Determinismus mit dem freien Willen verträglich sei, wird als „Kompatibilismus“ bezeichnet. Neurowissenschaftler sehen eine Determination unseres Handelns und Verhaltens wie Pflanzen, die sich nach den Regeln der Natur entwickeln. Aber die Entscheidungsprozesse des Menschen sind komplex. Wir lernen und bauen und verändern neuronale Verbindungen.
Unsere Fähigkeit zur Reflexion und unser Urteilsvermögen erlauben uns, unser zukünftiges Verhalten zu verändern. Wenn wir uns schließlich entscheiden, tragen wir unsere Geschichte mit uns herum. Entscheidungen sind bewusst und unbewusst. Wir müssen uns beraten und die Auswahl der Möglichkeiten kontrollieren. KI hat viele Gesichter und wir müssen darauf achten, dass wir unsere einzigartige Fähigkeit bewahren, den besten Weg zu gehen, glücklich zu sein und ein gerechtes, selbstbestimmtes und gutes Leben zu führen.
Fazit: Gaspard Koenig hat 125 Experten zur Künstliche Intelligenz befragt und uns so einen breiten Überblick über den Stand der Aktivitäten im Bereich Künstliche Intelligenz und deren möglichen Auswirkungen auf wirtschaftliche, soziale und ethische Veränderungen gegeben. Er reflektiert die Ergebnisse seiner Forschung mit seinem philosophischen Wissen. Es gelingt ihm, die Fragen unserer Zeit, die durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz geprägt sind, kritisch zu betrachten und Lösungen zu entwickeln, wie wir in Europa verantwortungsvoll mit den Technologien der Künstlichen Intelligenz umgehen können.