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ME/CFS – Die unbekannte und unterschätzte Krankheit

Verantwortlicher Autor: David Aebischer Düdingen, 23.11.2022, 20:45 Uhr
Fachartikel: +++ Politik +++ Bericht 4260x gelesen
Es ist unbedingt erforderlich, dass die Politik endlich handelt
Es ist unbedingt erforderlich, dass die Politik endlich handelt  Bild: DMZ Mittelländische Zeitung - David Aebischer

Düdingen [ENA] „ME/CFS ist eine rätselhafte Erkrankung, die mit viel Leid für die Betroffenen einhergeht“, sagt Dr. Bettina Albers der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. Da ME und CFS mangelhaft erforscht seien, gäbe es keine allgemein anerkannten Blutmarker oder bildgebende Verfahren.

Da ME (Myalgische Enzephalomyelitis) und CFS (Chronic Fatigue Syndrome) mangelhaft erforscht seien, gäbe es keine allgemein anerkannten Blutmarker oder bildgebende Verfahren, die eine eindeutige Diagnose erlauben würden. „Deshalb muss die Diagnose mithilfe eines Kriterienkatalogs erfolgen.“ Bei der IV gibt es laut Beobachter gar (leitende) Gutachter, die die Krankheit banalisieren. Ein solcher sprach von «erfinderischen Medizinern», «subjektiven Beschwerden», die man «immer wieder neu mit für Laien sehr schwerwiegend tönenden Namen» versehe. Gerade die «besonders gefährlich tönende Myalgische Enzephalomyelitis» sei ein sehr ungeeigneter Begriff.

Auch wenn immer mehr Menschen und Institutionen darauf aufmerksam machen, wird immer noch zu wenig getan. Mit der Förderung einzelner Therapiestudien in der Hoffnung, einen Zufallstreffer zu landen, ist es nicht getan. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie fordert gross angelegte, interdisziplinäre ME/CFS-Verbundforschungsprojekte, um systematische Grundlagen- und Therapieforschung betreiben zu können. Dr. Isabelle Greber behandelt seit 5 Jahren Patienten mit ME/CFS und sagt: „Die wenigen ÄrztInnen, die sich des Themas annehmen sind heillos überlaufen und können dem Ansturm nicht Herr werden. Das ist eine untragbare Situation.“

Was ist das Problem? Zu ME/CFS geistern viele Vorurteile und Irrtümer in den Köpfen sowohl der Behandler als auch der Bevölkerung. Obwohl ME/CFS zu den Erkrankungen mit der geringsten Lebensqualität zählt, erhalten die Betroffenen keine adäquate medizinische und soziale Versorgung, wird vielfach noch immer übersehen, psychiatrisiert oder bagatellisiert. Die Dunkelziffer der Betroffenen ohne Diagnose liegt bei 90 %. Chronische Erschöpfung und Belastungsintoleranz belasten die Lebensqualität der Betroffenen stärker als bei vielen anderen Erkrankungen und führen nicht selten zur Vereinsamung. Infolge der Pandemie ist zudem mit einem Anstieg der ME/CFS-Prävalenz zu rechnen.

Verharmlosung und Fehldiagnosen Die Krankheit wird seit Jahrzehnten nur unzureichend beachtet und nicht selten verharmlost. Infolge dessen werden Betroffene häufig als nicht schwerwiegend krank angesehen oder fälschlicherweise als psychisch krank fehldiagnostiziert. Dr. Isabelle Greber weiss, dass Fehlbehandlungen bei ME/CFS an der Tagesordnung sind, was für Betroffene eine menschliche Katastrophe darstellt. Sie appelliert an die Medien und Politik: „Es gibt keine zugelassenen Medikamente für diese Erkrankung und die 10 Millionen Euro, die nun von der Regierung Deutschlands bereit gestellt werden, reichen hinten und vorne nicht, um die 7 geplanten Studien durchzuführen.“

Auch eine Notfallzulassung von BC007 könne eine Möglichkeit darstellen, vielen Menschen zu helfen. Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom tritt typischerweise nach Infektionserkrankungen auf. 3 von 4 Betroffenen berichten, dass sie zum Zeitpunkt des Beginns ihrer ME/CFS-Erkrankung eine Infektion durchgemacht haben. In der Forschung beschrieben ist ME/CFS u. a. nach dem Epstein-Barr-Virus, der Influenza, Enteroviren, SARS-Cov-1 und jetzt auch SARS-Cov-2. Postinfektiöse Syndrome sind in der medizinischen Literatur schon seit mindestens 80 Jahren bekannt und beschrieben.

Laut einer Studie der Aalborg Universität aus dem Jahr 2015, ist die Lebensqualität von ME/CFS-Erkrankten im Durchschnitt niedriger als die von Multiple Sklerose-, Schlaganfall- oder Lungenkrebspatienten. Ein Viertel aller Patienten kann das Haus nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig und auf Pflege angewiesen. Schätzungsweise über 60 Prozent sind arbeitsunfähig.

Ursachen und Symptome Als Ursachen werden diverse Infektionen gelistet (v.A. der Atemwege, des Magen-Darm-Traktes und des zentralen Nervensystems), diverse Autoimmunerkrankungen (z.B. Sarkoidose), körperliche Traumata (wie Unfälle, operative Eingriffe) und verlängerte Auslaugungen (v.A. Schlafmangel, pausenloses Arbeiten, zahlreiche Reisen und Gewichtsverlust) zu den häufigsten und gut dokumentierten Auslösern. Borreliose ist ebenfalls ein bekannter Trigger unter den Betroffenen. Auch Medikationen können Auslöser sein, darunter Fluorchinolone, eine Antibiotika Gruppe, die inzwischen mit einem „Rote Hand Brief“ versehen ist, aber immer noch verschrieben wird.

Sie können ebenfalls zu schweren ME/CFS Symptomen und Symptomen aller Co-Morbiditäten führen. ME/CFS ist ein eigenständiges, komplexes Krankheitsbild und nicht mit dem Symptom Fatigue zu verwechseln, das ein typisches Begleitsymptom vieler chronisch-entzündlicher Erkrankungen ist. ME/CFS-Betroffene leiden neben einer schweren Fatigue (körperliche Schwäche) mit Belastungsintoleranz (PEM - Post-Exertional Malaise) die das Aktivitätsniveau erheblich einschränkt, unter neurokognitiven, autonomen und immunologischen Symptomen. Aktivierungstherapien bei ME/CFS — Deutsche Gesellschaft für ME/CFS (mecfs.de)

Sie können ebenfalls zu schweren ME/CFS Symptomen und Symptomen aller Co-Morbiditäten führen. ME/CFS ist ein eigenständiges, komplexes Krankheitsbild und nicht mit dem Symptom Fatigue zu verwechseln, das ein typisches Begleitsymptom vieler chronisch-entzündlicher Erkrankungen ist. ME/CFS-Betroffene leiden neben einer schweren Fatigue (körperliche Schwäche) mit Belastungsintoleranz (PEM - Post-Exertional Malaise) die das Aktivitätsniveau erheblich einschränkt, unter neurokognitiven, autonomen und immunologischen Symptomen. Aktivierungstherapien bei ME/CFS — Deutsche Gesellschaft für ME/CFS (mecfs.de)

„ME/CFS befindet sich in einem „toten Winkel“ des Gesundheitssystems. Die Schwere der Erkrankung und die hohe Dunkelziffer haben zudem verhindert, dass die Betroffenen sich öffentlich Gehör verschaffen konnten.“ Deutsche Gesellschaft für ME/CFS Wer kann helfen? Die 2019 gegründete Schweizerische Gesellschaft für ME & CFS ist ein gemeinnütziger Verein, der die Anliegen von Menschen mit der neuroimmunologischen Krankheit Myalgische Enzephalomyelitis (ME) und von Menschen mit dem Chronischen Fatigue Syndrom (CFS) sowie ihren Angehörigen vertritt.

Weiter gibt es den Schweizer Verein ME/CFS. Als erstes und wichtigstes Vorhaben für die kommende Zeit gibt der Verein an, die öffentliche Verbreitung der fundierten und nützlichen Informationen über ME/CFS sowie zunehmende Vernetzung der Involvierten und Interessierten (Betroffene, Angehörige, Dienstleister). Die CFS-Hilfe Österreich arbeitet mit Hochdruck daran, dass Betroffene die Hilfe und Unterstützung bekommen, die sie benötigen. Alle im Team sind selbst von ME/CFS betroffen und wissen aus eigener Erfahrung, wie es ist, mit dieser Krankheit zu leben. Nicht zuletzt auch deshalb arbeitet die Gesellschaft CFS-Hilfe Österreich an einer Verbesserung der Situation Betroffener in Österreich.

Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V. ist eine 2016 gegründete Organisation, die für die Rechte und Bedürfnisse von ME/CFS-Kranken eintritt. „Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS verbindet die wichtige Expertise von Erkrankten und Angehörigen mit der Expertise eines erfahrenen Ärztlichen Beirats.“ Die Gesellschaft engagiert sich dafür, dass Betroffene in Deutschland zukünftig eine adäquate medizinische und soziale Versorgung bekommen. „Wir wollen die dramatische Situation der Erkrankten und Angehörigen an die Öffentlichkeit bringen und setzen uns für den Ausbau der medizinischen Versorgung und Forschung ein.“

„Täglich quillt mein E-Mail-Postfach vor Hilferufen über und ich kann nicht annähernd allen Betroffenen helfen. Besonders schlimm ist es, wenn Jugendliche in Krankenhäusern festgehalten werden und dort völlig falsch behandelt werden.“ Dr. Isabelle Greber Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS stellt fest, dass international ME/CFS erst seit ca. 10/15 Jahren biomedizinisch erforscht und auch krankheitsspezifische pathophysiologische Auffälligkeiten identifiziert wird. „Aufgrund geringer Forschungsgelder und jahrzehntelanger medizinischer Vernachlässigung existieren über die Krankheitsmechanismen erste Thesen, die Forschung kommt jedoch nur langsam voran.“

Was kann man tun? Was die Politik tun kann, beschreibt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS in einem Massnahmenkatalog. Anerkennung des Problems (wie etwa in Dänemark, GB, USA) durch alle relevanten Akteure – insbesondere der Ministerien (BMG, BMBF, BMAS) und weitere zuständige Institutionen (G-BA, DRV, RKI, Ärztekammern u. w.), sei das Wichtigste und natürlich, dass die Betroffenen endlich eine adäquate medizinische und soziale Versorgung erhalten. Auch sei die Einordnung von ME/CFS als organische Krankheit nach der WHO (ICD-10 G93.3) und den Kanadischen Konsenskriterien (CCC) erforderlich; eine klare Abgrenzung zu funktionellen Störungen sei notwendig.

Ausserdem müssten kontraproduktive Therapien wie Aktivierungstherapie (GET) und Verhaltenstherapie (CBT) aus den offiziellen Leitlinien gestrichen werden. Punkte des Aktionsplans sind die Forschung, die medizinische und soziale Versorgung. Es besteht ein hoher Forschungsbedarf Bisher gibt es nur wenig Forschung zu pädiatrischem ME/CFS und im Fall von Deutschland nur eine einzige universitäre Einrichtung an der Technischen Universität in München. Das "MRI Chronische Fatigue Centrum" für junge Menschen (MCFC) arbeitet eng mit dem Charité Fatigue Centrum für Erwachsene in Berlin zusammen.

Der Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde Herbert Renz-Polster schreibt in seinem Artikel zu Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) „Chronische Erschöpfung bedeutet nicht, einfach nur müde zu sein“, dass wegen des grossen Andrangs sich diese Einrichtungen aus Kapazitätsgründen inzwischen auf die Versorgung von Betroffenen aus dem eigenen Bundesland beschränken müssen. „Beide Institute können die aufwendige Versorgung der Betroffenen nur aufgrund von Zusatzfinanzierungen durch Stiftungen und private Spenden anbieten.“

Der Bedarf an weiteren Schwerpunktzentren in anderen Regionen sei riesig und werde im Zuge der Pandemie altersübergreifend aufgrund von Post-Covid-ME/CFS zunehmen. Deshalb sei es im Fall von Deutschland dringend notwendig, dass - wie im neuen Koalitionsvertrag angekündigt - staatliche Massnahmen zu einer angemessenen Aufklärung, Versorgung und Erforschung von ME/CFS getroffen würden. Die grossen Betroffenenorganisationen, die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS und Long COVID Deutschland, haben notwendige Massnahmen in ihrem Nationalen Aktionsplan zusammengetragen. Es ist unbedingt erforderlich, dass die Politik endlich handelt.

Der Bedarf an weiteren Schwerpunktzentren in anderen Regionen sei riesig und werde im Zuge der Pandemie altersübergreifend aufgrund von Post-Covid-ME/CFS zunehmen. Deshalb sei es im Fall von Deutschland dringend notwendig, dass - wie im neuen Koalitionsvertrag angekündigt - staatliche Massnahmen zu einer angemessenen Aufklärung, Versorgung und Erforschung von ME/CFS getroffen würden. Die grossen Betroffenenorganisationen, die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS und Long COVID Deutschland, haben notwendige Massnahmen in ihrem Nationalen Aktionsplan zusammengetragen. Es ist unbedingt erforderlich, dass die Politik endlich handelt.

Myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) ist eine schwere organische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Die WHO stuft ME/CFS seit 1969 als neurologische Erkrankung ein. Die ME/CFS-Betroffenen sind schwer krank. Ein Viertel aller Patienten kann das Haus nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig und auf Pflege angewiesen. Schätzungsweise über 60 % sind arbeitsunfähig. ME/CFS ist relativ weit verbreitet. Weltweit sind etwa 17 Mio. Menschen betroffen. In Deutschland sind es mit einer Prävalenz von 0,3 % bis zu 250.000, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche (vor der Pandemie)

Die genaue Ursache der Erkrankung ist noch unbekannt. Häufig beginnt die Krankheit akut nach einem schweren Infekt, aber auch schleichende Verläufe sind bekannt. Neuere Studien weisen auf eine mögliche Autoimmunerkrankung und eine schwere Störung des Energiestoffwechsels hin. Übersichtsarbeiten 2021 Review, in dem der aktuelle Stand zu möglichen Krankheitsmechanismen, zur Diagnose und zu potentiellen Behandlungsmöglichkeiten zusammengefasst ist. Die National Academy of Medicine (ehemals Institute of Medicine) hat im Jahr 2015 einen Report zu ME/CFS veröffentlicht, für den 9000 Studien ausgewertet wurden.

Das Fazit: ME/CFS ist eine körperliche Erkrankung mit dem Leitsymptom Post-Exertional Malaise und muss dringend stärker erforscht werden. Studien: Case-Studie zu ME/CFS nach einer EBV Erkrankung https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5510613/ Infektionskrankheiten als Auslöser https://doi.org/10.1136/bmj.38933.585764.AE Burden of Disease und geschätztes benötigtes Forschungsvolumen https://content.iospress.com/articles/work/wor203173

Post-Exertional Malaise (PEM) https://www.mdpi.com/2077-0383/9/12/4040/htm DNA-Studie – bisher größte genetische ME/CFS-Studie (laufend) https://www.decodeme.org.uk Niedrige Lebensqualität https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0132421 Erkrankungsalter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25274261 Originalartikel erschienen in Der Mittelländischen Zeitung (DMZ) https://www.mittellaendische.ch/2022/11/11/me-cfs-die-unbekannte-und-untersch%C3%A4tzte-krankheit/#gsc.tab=0

ME/CFS – Die unbekannte und unterschätzte Krankheit (DMZ 2022)

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