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Land am Strome - zukunftsreich?

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 26.11.2022, 20:26 Uhr
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Salzburg [ENA] Die Versorgung mit Energie stellt für jedes Land bzw. jede Volkswirtschaft eine Existenzfrage dar: Zur Zeit findet ein Paradigmenwechsel statt, wobei oftmals nicht genau geklärt werden kann, was nun auf der Basis von physikalischen Fakten, wirtschaftlichen Erfordernissen, umweltpolitischen Herausforderungen oder ideologischen Überzeugungen diskutiert wird. Heftige und tiefgreifende Kontroversen sind die Folge.

Auf einen großen, aber nicht unbedingt großgewachsenen, burgenländischen Philosophen geht der Spruch zurück, wonach „alles auf der Welt sehr kompliziert sei“. Gewiss, der Mann hatte recht. Tatsächlich sagte Fred Sinowatz, so der Name des Weisen, in der Regierungserklärung am 31. Mai 1983 folgendes: „Ich weiß schon, meine Damen und Herren, das alles ist sehr kompliziert so wie diese Welt, in der wir leben und handeln, und die Gesellschaft, in der wir uns entfalten wollen. Haben wir daher den Mut, mehr als bisher auf diese Kompliziertheit hinzuweisen; zuzugeben, dass es perfekte Lösungen für alles und für jeden in einer pluralistischen Demokratie gar nicht geben kann.“ (Protokoll: Österreichischer Nationalrat XVI. GP – 2. Sitzung)

Mit diesen Sätzen sprach Sinowatz etwas Blitzgescheites und vor allem Sachlich-Richtiges aus. In den letzten Jahrzehnten befällt dem gelernten Österreicher zunehmend das Gefühl, dass das Niveau der politischen Auseinandersetzung drastisch abgenommen hat – ein gegenseitiges Anschütten dominiert die meisten Debatten. Auch in Energie- wie Umweltfragen scheint die parlamentarische Diskussion in diesem Stil abzulaufen: Während die regierenden und abgehoben wirkenden Parteien sich und ihre scheinbar visionären Programme anpreisen bzw. in gekauften Inseraten beklatschen lassen, zerpflückt die mieselsüchtige Opposition diese Ideen umgehend und spricht, die Regierung betreffend, von Chaos, Inkompetenz und Unfähigkeit.

Pragmatische Physik oder polemische Politik? Weil Österreich am Inn, an der Drau, der Salzach und vor allem an der Donau so viele Wasserkraftwerke gebaut hat, auf der Parndorfer Platte hunderte Windkraftwerke Tag und Nacht ihren Dienst versehen und die Sonne fast das ganze Jahr über unser Land lacht, haben wir so viel nachhaltig produzierten Strom, dass wir auf Atomkraft, fossile Energieträger sowie auf neue Stromleitungen ruhig verzichten können. Der Satz klingt gut, entspricht aber leider nicht der Wahrheit. Trotzdem verkünden diverse Politiker vielerorts und vollmundig, dass sich Österreich bis zum Jahre 2030 zu 100 % mit erneuerbarem Strom selbst versorgen wird können.

Ein Beinahe-Blackout am 8. Januar 2021 hat einige Menschen dann doch etwas nachdenklich gemacht – die Frage ist seither nicht mehr ob, sondern nur mehr wann diese Situation eintritt! Ein kurzer Blick in die Vergangenheit zeigt, dass in den letzten Jahren schon sehr viel versprochen wurde, ohne dass die Inhalte auf ihre Umsetzung überprüft worden sind. Nicht zu vergessen ist eine Meldung des damaligen Landwirtschafts- und Umweltministers Nikolaus Berlakovich (ÖVP), der 2010 davon sprach, dass in zehn Jahren 250.000 E-Autos auf Österreichs Straßen fahren würden. Auch wenn die Euphorie damals groß war – eine differenzierte Diskussion, wie sich dieses Szenario auf die Infrastruktur auswirken würde, wurde bis heute nie geführt.

Tatsächlich waren es 2020 dann nicht einmal 40.000 Fahrzeuge mit E-Antrieb. Der Umstand, dass E-Autos, wie alle anderen Fahrzeuge, Straßenstaub aufwirbeln, Fahrbahn- und Reifenabrieb sowie den hoch toxischen Bremsstaub erzeugen, war und ist zwar den meisten Insidern genau so bekannt wie das Faktum, dass die Erzeugung von Lithium und Kobalt unter empörenden und äußerst umweltschädigenden Verhältnissen stattfindet. Desgleichen ist bis heute nicht geklärt, wie die Batterien umweltgerecht entsorgt oder/und wiederverwendet werden können.

Doch wirklich interessant wird es, wenn man bedenkt, dass in den Wintermonaten in Österreich, also in Zeiten einer „Dunkelflaute“ und des Niedrigwassers, gut die Hälfte des verbrauchten Stromes seit Jahren aus thermischen Kraftwerken stammt, also in Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerken erzeugt werden muss. Auf dieses Faktum weisen immer wieder Experten wie Gero Vogl (em. Ordinarius für Physik an der Uni Wien) und der Vorstand des Netzbetreibers APG, Gerhard Christiner, hin. Konsequenterweise sollte der verantwortungsvolle und umweltbewusste Besitzer eines E-Autos also nur bei genügend Wind, Sonnenschein und relativ hohem Wasserstand der heimischen Flüsse in sein Gefährt einsteigen…

Düstere Zukunftsaussichten also? Einer Grafik der „Statistik Austria“ ist zu entnehmen, dass der Strombedarf in Österreich (wenig überraschend) kontinuierlich gestiegen ist: Haben wir 1970 etwas mehr als 20 Terrawattstunden verbraucht, sind es 1990 schon doppelt so viele gewesen. Im Vorjahr hat Österreich immerhin schon 70 TWh Strom konsumiert – 10 TWh (immerhin 14%) kamen aus Gaskraftwerken. Über das Jahr importiert Österreich aus dem Ausland zudem ungefähr 10 % des Inlandverbrauchs – darunter eben Atomstrom aus Tschechien und wahrscheinlich auch aus anderen Ländern (Quelle: E-Control).

Netzbetreiber und Energie-Experten warnen deshalb eindringlich vor der Abschaltung der Grundlast-Kraftwerke, weil sowohl die heimischen Gaskraftwerke als auch die ausländischen Kernkraftwerke die Stabilität – und damit die unbedingt notwendige Grundvoraussetzung eines ständig funktionierenden Stromnetzes sichern. Bei zu viel oder zu wenig Strom würde das Netz augenblicklich zusammenbrechen. Dass Umweltschutzorganisationen vehement gegen die ihrer Meinung nach mangelnde Sicherheit grenznaher Atomkraftwerke demonstrieren, ist hinsichtlich eines möglichen Unfalls mehr als verständlich, aus der Sicht der Versorgungssicherheit aber wiederum etwas kurssichtig.

Viel wichtiger wäre es, Sparpotentiale zu nützen: Beispielsweise gibt es die „autarke E-Mobilität“ schon lange; O-Bus und Bahn fahren annähernd mit dieser Technologie. Nur: Der Hang zur Individualität (oder zum Egoismus) und vielleicht auch mangelnde Angebote – die Ausrede gilt in den Städten wohl nicht – verhindern eine bessere Nutzung des Öffentlichen Verkehrs. Der Ausbau der nachhaltig erzeugten Energie scheitert – wie so oft in Österreich – an den verschlungenen und aufreibenden Wegen der Behörden und Verwaltungsinstitutionen:

Die Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) sind gutgemeinte und wichtige, aber langwierige Verfahren, die (so der offizielle Text des Bundesministeriums) „mögliche Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umwelt im Vorhinein, das heißt vor seiner Verwirklichung, prüfen sollen.“ Wenn nun für jedes noch so kleine Wasserkraftwerk, für jeden Windpark und für große Photovoltaik-Anlagen ein jahrelanges Verfahren notwendig ist, kann die ökologische und für das Weltklima so wichtige Wende wohl nicht geschafft werden.

Ob ein Bürgermeister als regionale Baubehörde vielleicht doch in Frage zu stellen ist, darf angesichts der schrecklichen Bausünden in der Vergangenheit (Versiegelung der Böden, Zersiedelung der Landschaft, Zerstörung der Dörfer durch gesichtslose Gewerbegebiete etc.) zumindest angedacht werden. Der öfters gehörte Spruch – „In meiner Gemeinde (!) werde ich einen Windpark nie und nimmer genehmigen!“ – zeugt von einem nicht vorhandenen Verantwortungsbewusstsein und einem fehlenden Blick auf das Gemeinwohl. Andere Amtsträger (oder Wutbürger) fordern eine sofortige Dekarbonisierung und eine Abschaltung aller Kernkraftwerke. An einer realistischen Lösung des Problems scheinen auch sie wenig interessiert zu sein…

Und die Krisen häufen sich… Aktuelle politische Ereignisse zwingen viele europäische Staaten zum Nachdenken, ob eine große Abhängigkeit von einzelnen öl- und gasfördernden Staaten ökologisch, ökonomisch, politisch und ethisch noch sinnvoll und vertretbar ist. Eine Pressekonferenz jagt die andere, Politiker mit ernsten Mienen sagen viel und meinen doch sehr wenig. Viel zu selten getrauen sie sich politische Entscheidungen mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen und Folgen für unsere Zukunft zu verknüpfen. Fred Sinowatz war wohl ein Visionär: Es ist wirklich alles sehr kompliziert!

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