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Die Medizin – zwischen heilversprechend und krankmachend

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 27.11.2022, 13:16 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 14576x gelesen

Salzburg [ENA] Schon Marcus Lucius Annaeus Seneca (ca. 54 v.Chr.-ca.39 n.Chr,) war der Meinung, dass "einige Heilmittel gefährlicher sind als das Übel." („Quaedam remedia graviora ipsis peniculis sunt.“) Hinter vorgehaltener Hand bestätigen moderne Vertreter der Medizin den Verdacht, wonach ein Krankenhaus für manche Patienten zur Gefahr (Ansteckung durch Keime und Bakterien) werden kann. Sollte nicht das Gegenteil der Fall sein?

„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker!“ – diesen juristisch wichtigen wie notwendigen Zusatz kennt man aus diversen Rundfunk- und Fernsehwerbungen. Nachdem jede Therapie die Einwilligung des Patienten bedarf, muss dieser über etwaige Gefahren aufgeklärt werden. Somit werden Medikamenten schriftliche Gebrauchsinformationen beigelegt, die die Häufigkeit von Nebenwirkungen in drei Kategorien, „häufig“, „gelegentlich“ und „selten“, auflisten. Was auf den Beipackzetteln jedoch nicht steht: Jährlich sterben in Deutschland etwa 60.000 Menschen, in Österreich vermutlich ein Zehntel davon, an den Nebenwirkungen von zugelassenen Medikamenten.

Im Mai 2022 spricht der Onkologe und Hämatologe Dr. Stefan Wöhrer diesbezüglich von 250.000 Spitalsaufenthalten und 10.000 Todesfällen – wohlgemerkt für Österreich. Generell zählen Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten schon zu der vierthäufigsten Todesursache in der westlichen Welt. Nicht genug damit lauern in den meisten Krankenhäusern lebensgefährliche nosokomiale Keime (griech.: „Nosokomeion“ für „Krankenhaus“), gegen die Antibiotika kaum oder gar nicht mehr helfen.

Obwohl sich nur bis zu 5 % aller Patienten im Krankenhaus mit Bakterien, Viren, Pilzen und Parasiten anstecken, sterben in Österreich pro Jahr etwa 4500 Menschen daran, EU-weit zählt man diesbezüglich ca. 37.000 Todesfälle. (Quelle: ORF Science vom 15.11.2018) Die häufigsten nosokomialen Infekte betreffen Harnwegsinfekte, postoperative Wundinfektionen, Infektionen der unteren Atemwege und Ansteckungen, die durch Gefäßkatheder entstehen sowie die klassische Blutvergiftung.

Grundsätzlich sollte man meinen, dass – wenn man sich unter die Obhut eines Krankenhauses begibt bzw. von Experten eine medikamentöse Therapie erhält – die Heilung im Vordergrund der Behandlung steht. Der Eid des Hippokrates beinhaltet schon lange keine Rechtswirkung mehr, grundlegende moralische Pflichten des Arztes (das Gebot, Kranken nicht zu schaden, Schweigepflicht) sind allerdings seit Jahrtausenden Bestandteil einer ärztlichen Ethik. Auch wenn für die allermeisten Ärzte und Ärztinnen, Pfleger und Pflegerinnen diese Regeln selbstverständlich sind, fragt man sich, warum so viele Menschen, die sich einem medizinischen System anvertrauen, mehr oder weniger an diesem sterben.

Viele Ärzte klagen, dass sie zu wenig Zeit für ihre Patienten haben und dass jene die Bedeutung der Prophylaxe, der gesunden Lebensführung und der gesunden Ernährung usw. ignorieren – jedoch bedenkenlos ein Medikament für jedes noch so kleine gesundheitliche Problem einfordern würden. Gerade älteren Patienten droht damit ein Medikamentenmix, wobei damit die Zahl der Nebenwirkungen und die Gefahr einer Unverträglichkeit exponentiell steigt.

Über 80 % der über 60-Jährigen nehmen verschreibungspflichtige Substanzen zu sich, die Hälfte von ihnen sogar mehr als fünf. Krebspatienten leiden besonders unter einer „Polypharmazie“, so müssen über 40% von ihnen mehr als zehn Medikamente zu sich nehmen. (Quelle: Stefan Wöhrer/Permedio, Die Presse 2022) Ob ein behandelnder Mediziner in der Lage ist, die Verträglichkeit dieser unterschiedlichen Substanzen und Wirkstoffe respektive das Risiko komplexer Nebenwirkungen zu kontrollieren, darf aber stark bezweifelt werden.

Wenn nun, was oft passiert, mehrere Ärzte einen Patienten behandeln und jeder Doktor die Pillenliste verlängert – man pfuscht ja als Mediziner seinem Kollegen bzw. seiner Kollegin ja nicht ins Geschäft – muss der Betroffene viele Präparate von der Apotheke abholen. Der freundliche Apotheker vertraut ebenso den Ärzten und stellt keine langen Vermutungen an, welche Medikamente miteinander überhaupt nicht in Einklang zu bringen sind, also bei gleichzeitiger Einnahme gefährliche bis tödliche Nebenwirkungen zur Folge haben.

Skeptische Patienten werden am Ende misstrauisch und beginnen vielleicht noch selbstständig Arzneien wegzulassen oder zu kombinieren – der Teufelskreis hat sich geschlossen. Eingedenk der alten Weisheit „Drei Ärzte – drei Meinungen“ vertrauen sich einige Kranke möglicherweise einem Privatheiler und fanatischen Gegner der Schulmedizin an – und landen wahrscheinlich innerhalb weniger Tage oder Wochen auf der Intensivstation oder in der Pathologie. Der Ärztewitz, wonach der Pathologe zwar alles weiß und kann, aber immer zu spät kommt, ist uns ja allen bekannt...

Für gesunde und robuste Menschen scheinen Krankenhauskeime nicht wirklich gefährlich zu sein. Nur – in einer Klinik befinden sich naturgemäß viele Menschen, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme oder akuten Verletzungen eingewiesen werden. Für diese Patienten sind multiresistente Erreger eine echte Gefahr: Die gefährlichsten von ihnen, wie etwa Staphylococcus aureus, Clostridium difficile, Escherichia coli, Enterococcus faecalis, Enterococcus faecium, Acinetobacter baumannii und Pseudomonas aeruginosa finden sich auf kontaminierten Gegenständen in Krankenzimmern, Waschräumen und Toiletten – dort warten sie auf ihre Wirte.

Da viele von ihnen gegen gängige Antobiotika resistent sind, sind immungeschwächte und alte Patienten sehr gefährdet. Wenn nun diese Bakterien über Gefäßkatheter, Harnwegskatheter, Ernährungssonden oder durch künstliche Beatmung dorthin gelangen, wo sie nicht hingehören, wird es gefährlich. Eine mangelnde Handhygiene aller Beteiligter (Ärzte, Pfleger, Patienten, Besucher) kann die Verbreitung der Bakterien ebenfalls erhöhen. Überdies erleichtern Behandlungen, die das Immunsystem des Patienten unterdrücken, den Erregern das Eindringen in den Körper der Kranken.

Bei diesen Anwendungen werden die körpereigenen Abwehrkräfte bewusst „lahmgelegt“, um ein Medikament besonders gut wirken zu lassen oder um einem neuen Gewebe das „Einwachsen“ zu ermöglichen. Neben einer generellen Sensibilität für Hygiene und Sauberkeit sollten alle im Krankenhaus befindlichen Menschen – auch die Besucher – ihre Hände wiederholt waschen und desinfizieren. Mit dieser banalen Methode könnten die Infektionen um 40% gesenkt werden (Quelle: Österreichische Gesellschaft für Krankenhaushygiene, ÖGKH). Dasselbe gilt für medizinische Geräte und Kathedersysteme: Mit hochwertigen Systemen und entsprechender Reinlichkeit könnten ebenfalls viele Menschen gerettet werden.

Ein signifikanter Fortschritt bei den Nebenwirkungen von Medikamenten wäre, wenn eine internationale Datenbank eingerichtet werden würde, mithilfe der man alle möglichen Wechsel- und Nebenwirkungen, Allergien und Unverträglichkeiten von Medikamenten bzw. von einer Mischung verschiedenster Arzneimittel eintragen, verknüpfen und auswerten könnte. Desgleichen sollten Patienten ein rasches und verlässliches Feedback erhalten, ob der Medikamenten-Mix, den sie verschrieben bekommen haben, auch gut verträglich bzw. unschädlich für andere Körperregionen oder Organe ist.

Schlussendlich könnte die Schaffung einer Pharmakogenetik dem einzelnen Menschen zeigen, ob das eine oder andere Medikament seinem individuellen Erbgut überhaupt zuträglich ist und ihm überhaupt hilft, gesund zu werden. Die Frage bleibt, ob dies nun ein frommer Wunsch oder eine nahe Perspektive ist?

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