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Corona und die deutsche Bildungslandschaft

Verantwortlicher Autor: Dr. Bernd Strecker Bad Schönborn, 09.07.2020, 14:58 Uhr
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W. Busch: Max + Moritz - Lehrer Lämpel *)
W. Busch: Max + Moritz - Lehrer Lämpel *)  Bild: Dr. Bernd Strecker

Bad Schönborn [ENA] Die Corona-Pandemie mit ihrem umfassenden Lockdown hat den wahren, katastrophalen Zustand des dt. Bildungssystems und zugleich die totale Überforderung der verantwortlichen Personen überdeutlich vor Augen geführt. Eine einheitliche Versorgung der Schülerinnen und Schüler: Fehlanzeige!

Zugleich wurde offenkundig, dass erstere in den Kultusverwaltungen aller deutschen Länder von der in wohlgesetzten Sonntagsreden erwähnten Digitalisierung und deren notwendige Implementierung in Wirklichkeit überhaupt keine Ahnung haben. Diese groteske Situation zieht sich schon in Deutschland seit mehreren Jahrzehnten hin, wurde aber bisher von den zuständigen Stelleninhabern immer wieder mit ausladenden Kommentaren unkenntlich gemacht und somit kaschiert.

In den frühen, zaghaften Anfängen der Digitalisierung (erste PCs, Sprachlabors, Unterrichtsmitschau etc.) lag der Einsatz der elektronischen Medien sowie die Entwicklung von einfacher Software hauptsächlich in den Händen von extrem engagierten Lehrerinnen und Lehrern. Rückblickend kann man deren Arbeitsleistung nicht hoch genug einschätzen. Denn eine angemessene Anrechnung von Stunden innerhalb des Deputats gab es damals nur in wenigen Ausnahmefällen.

Überwiegend schafften die meisten Lehrer sozusagen „auf eigene Rechnung“, d.h. sie fühlten sich in der Verantwortung den Schülern gegenüber und machten laufend Überstunden. Die Kultusministerien in den einzelnen Ländern ließen sie - zeitweise zähneknirschend - gewähren, ohne ihnen aber die entsprechende Unterstützung zukommen zu lassen. Wie sollten sie auch, da die Verantwortlichen überhaupt keine Ahnung von den damit verbundenen neuen Arbeitsweisen hatten.

Lediglich die „Stiftung Volkswagenwerk“ pumpte enormes Geld in die neue Entwicklung und ließ zusätzlich interessante, erklärende Papiere zu diesem Bereich von unterschiedlichen Autoren formulieren. Leider aber verschlossenen sich dann die Kultusbehörden der Länder dem neuen, erfolgsversprechenden Trend und stoppten aus höchst fadenscheinigen Gründen eine einmalige Chance. Dabei wurden sie von den Kommunen unterstützt, die zwar anfänglich den Erwerb der neuen Medien als eigenen Prestigegewinn verkauften, sich bald aber (aufgrund der anfallenden Kosten) ebenfalls zurückzogen. Die neue Alternative war damit gestorben.

Während dieser Zeit wurde von den Kultusbehörden offiziell fast durchgehend mit gezinkten Karten gespielt. Ihnen ging es letztendlich nur um eine Stellenreduzierung der Lehrkräfte. Selbst den veröffentlichten Statistiken konnte man kaum trauen. Diese Missachtung der eigentlichen Tatsachen hat jedoch mit Corona jetzt ein Ende gefunden. Flankierend schießen zurzeit wieder die selbsternannten, sogenannten „Experten“ wie Pilze aus dem Boden und machen sich in den zahlreichen Talkshows breit. Leider kann durch sie eine wirklich zielführende Diskussion nicht stattfinden, weil durch deren krude Geschwätzigkeit die eigentliche Problematik immer wieder verdeckt und deshalb auch nicht ansatzweise gelöst wird.

Dank Corona bleibt es also im Moment für Kenner offensichtlich , dass wir in Deutschland vor einem ungeheuren Bildungschaos stehen, das aber eigentlich umgehend gelöst werden müsste. Somit stellt sich die Frage: Welche tiefer liegenden Gründe sind außerdem zu nennen, die die augenblickliche negative Situation herbeigeführt haben? Überblickt man etwa die vergangenen Jahrzehnte, dann wurden immer wieder in erster Linie Juristen zu Kultusministern ernannt. Sie wurden also Statthalter der Bildung. Dazu sei nur dies erklärt: Wenn jemand einen Anzug kaufen will, geht er sicherlich nicht zum Milchmann!

Außerdem ist anzumerken, dass selbst schon in den politischen Hochtagen der CDU das Interesse an Kultus und Unterricht als wichtiges, zu gestaltendes Element der Politik stetig abgenommen hat. Besonders deutlich war diese Haltung in Baden-Württemberg zu beobachten. Aber auch in den anderen Ländern zeigte sich ein wachsendes Desinteresse an dem komplexen Gebiet der Bildung. Bildung rangierte unter ferner liefen.

Das ist umso erstaunlicher und zugleich weniger nachvollziehbar, als die Bildung in der Trias mit Wirtschaft und Industrie gerade in Deutschland (ohne nennenswerte Bodenschätze) eigentlich eine wichtige, förderungswürdige Säule bilden sollte. So haben etwa Japan und China in diesem Zusammenhang der Welt überdeutlich gezeigt, was man dort von Bildung hält und was sie - richtig eingesetzt - bewirken kann.

Am schlimmsten ist jedoch die Tatsache, dass es in Deutschland für die Bildung und die mit ihr eng zu verzahnende Digitalisierung seit Jahrzehnten überhaupt keine in sich geschlossene Gesamtkonzeption gibt. Leider existieren nur bruchstückhafte und zudem oft widersprüchliche Ansätze. Das hängt auch mit der ideologischen Einflussnahme bestimmter Parteien zusammen, die auf dem inzwischen „unbedeutend“ gewordenen Gebiet der Bildung (s.o.) ihre besonderen Duftmarken hinterlassen haben.

Was soll, um nur drei Punkte zu nennen, im Deutsch- oder Fremdspachenunterricht das anfängliche Schreiben nach Gehör? Einmal falsch eingeschliffene Prozesse sind später kaum wieder zu reparieren. Diese Einsicht war früher eine Binsenwahrheit. Oder - noch grotesker – warum gibt es heute ein absolutes „Verbot“, längere Passagen, etwa von Gedichtteilen oder Schlüsselstellen auswendig zu lernen?

Und schließlich: Lernen ist nicht durchgehend lustig; bald fängt nämlich bei schon weniger komplexen Zusammenhängen die individuelle Kärrnerarbeit des Einzelnen an. Diese ist im fortgeschrittenen Stadium mühselig und zwingt zu permanentem Arbeiten. Die Verantwortlichen sollten sich also nicht in die Tasche lügen, wenn sie permanent fordern, Lernen müsse immer Spaß machen. Das ist ein eklatanter und nicht hinzunehmender Trugschluss!

Was wir also dringend benötigen, ist eine praxisbezogene, lernzielorientierte und didaktisch abgesicherte Konzeption, die je fachspezifisch und medienadäquat die Inhalte für die verschiedenen Lerngruppen auf allen Lernebenen anbietet. Dabei sollten auch die neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaft mit einbezogen werden. Ein nationaler, sogenannter „Thinktank“, der von allen deutschen Ländern beschickt würde, könnte so die Einheitlichkeit der Inhalte und deren permanente Anpassung garantieren.

Die „Kultusministerkonferenz“ ist keineswegs die Lösung. Schon seit Jahren hat sie als übergeordnete Institution leider, wie wir immer wieder gesehen haben, ihr Pulver verschossen. Wer immer nur mit dem kleinsten allgemeinen Nenner operiert, schafft keine überzeugenden Ergebnisse. Auch hier gilt bisher: Außer Spesen, nichts gewesen! Die sich immer stärker durchsetzende Globalisierung entzaubert das bildungspolitische Kleinklein der Länder in Deutschland als wenig zielführend. Und auch den immer wiederkehrenden Hinweis auf die Zeit des Nationalsozialismus sollte man im Giftschrank wegschließen, weil er nicht mehr überzeugt.

Der vorgeschlagene unabhängige „Thinktank“ müsste neben der genannten Inhalts-Strukturierung auch eine angemessene Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte mit entsprechend entwickelten Bausteinen im Sinne der angepassten, integrativen Digitalisierung anbieten. Hier könnte er sich auf bereits vorliegendes Material stützen, das aber im Rahmen der Gesamtkonzeption entsprechend adaptiert werden müsste. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls eine komplexe, ausbaufähige „elektronische Plattform“ unabdingbar. Die Einbindung von erfahrenen Unternehmen, wie z.B. „Learntec“ oder Startups, wären hier sicherlich von Vorteil. ---

*) Literatur: Busch, Wilhelm: Max und Moritz. – Bubengeschichte in sieben Streichen. Pestalozzi Verlag. o.J. - ISBN 3 87624 067 0. – Hier: Vierter Streich / Lehrer Lämpel: „Rums! Da geht die Pfeife los …“

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